Plattformen und Journalismus: Die Entkernung der Demokratie

Plattformen und Journalismus: Die Entkernung der Demokratie
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Auf der Jahrestagung von Netzwerk-Recherche in Hamburg habe ich heute die Keynote gehalten. Das ist der Redetext.

Die reichsten und mächtigsten Menschen der Welt reihen sich hinter einem autoritären Herrscher ein, während die US Demokratie zerstört wird.

Was bedeutet das für uns?

Wir erleben derzeit einen besorgniserregenden globalen Trend: Der Rechtsruck schreitet voran – politisch, gesellschaftlich, technologisch.

Ein zentrales Element dabei ist der Aufbau neuer Gegenöffentlichkeiten im Netz. Rechtspopulisten – und zunehmend Rechtsradikale – nutzen digitale Kanäle und ihre Mechanismen gezielt, um journalistische  Medien zu umgehen und selbst zu Sendern zu werden.

Auch in Deutschland hat sich am rechten Rand ein neues mediales Ökosystem gebildet – eine Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und Extremismus. Es reicht von Nius bis zur Welt und schaut man sich die Besitzer an, findet man auch Tech-Oligarchen bei uns.

Unterstützt wird es von zahllosen Nutzer:innen auf großen Plattformen, die sich dort algorithmisch verstärken.

Das führt zu einer schleichenden, aber systematischen Diskursverschiebung nach rechtsaußen. Und die Tech-Oligarchen aus dem Silicon Valley stellen dafür die Infrastruktur bereit – teilweise bewusst oder aus Gleichgültigkeit und Profitinteresse.

Machtkonzentration: Die unsichtbare Infrastruktur der Öffentlichkeit

Gleichzeitig erleben wir eine extreme Machtkonzentration im Digitalen: Wenige Unternehmen, teilweise in der Hand einzelner Menschen, kontrollieren unsere Kommunikationsräume. Sie entscheiden, wie wir uns informieren, worüber wir diskutieren – und letztlich auch, wie sich ein großer Teil der Öffentlichkeit konstituiert. 

Diese Plattformen sind schon lange keine neutralen Kanäle mehr. Sie sind Gatekeeper, Zensoren, Architekten des Diskurses – mitunter gelenkt von Geschäftsinteressen und ideologischen Launen einzelner Milliardäre.

Und das hat Konsequenzen.

 Was, wenn alles kippt?

Wir müssen aufhören, Dystopien als hypothetisch zu betrachten. Die Realität hat die Fiktion oft längst eingeholt.

Was passiert, wenn Plattformen journalistische Inhalte noch mehr gezielt diskriminieren – algorithmisch oder manuell?

Was, wenn der Rechtsruck weiter voranschreitet und die Pressefreiheit auch bei uns systematisch beschnitten wird?

Was, wenn Informationsfreiheitsgesetze, Pressegesetze, Datenschutzstandards „abgeräumt“ werden – in einem Klima der Gleichgültigkeit oder des Zynismus?

Die autoritären Playbooks liegen offen vor uns. Die USA zeigen uns derzeit, wie schnell demokratische Institutionen untergraben werden können.

Ungarn hat es uns früher gezeigt. Polen auch. Nur war da die Sprachbarriere – und unser Desinteresse.

 Der Software-Putsch

Was in den USA derzeit geschieht, ist kein normaler Regierungswechsel. Es ist auch ein Putsch – nicht mit Panzern, sondern mit Software.

Elon Musk, ausgestattet mit einer präsidialen Blankovollmacht, durchstreifte mit seinem Doge-Team US-Behörden und kopierte massenhaft Daten:

– Wer lebt wo?

– Wer hat wie viel verdient?

– Wer wurde wann polizeilich befragt – schuldig oder nicht?

– Und vor allem: Wer hat wen gewählt?

Einige mutige Beamt:innen versuchten, sich in den Weg zu stellen. Einige Richter erklärten später die Datenkopien für illegal. Doch da war es längst zu spät. Die Informationen lagen oft schon auf Notebooks – außerhalb jeder Kontrolle.

Auch wenn Musk diese präsidiale Blankovollmacht gerade nicht mehr hat. Seine Leute sind immer noch unterwegs und die bereits kopierten Daten hat er schon.

Viele Medien fielen auf das Framing herein, es handele sich um Sparmaßnahmen. Es waren vor allem Tech-Medien wie Wired, die frühzeitig erkannten: Das war keine Verwaltungsreform. Das war die Vorbereitung auf Massendeportationen.

Palantir: Die Waffe der autoritären Moderne

Diese Daten landen nun in den BigTech-Analysemaschinen u.a. von Palantir – einem Unternehmen, das seit Jahren im Schatten an der digitalen Überwachung der Gesellschaft arbeitet.

In den Händen autoritärer Regime wird Software wie diese zur perfekten Waffe.

Sie analysiert, sie bewertet, sie sortiert.

Sie erstellt Profile – nach „Gefährlichkeit“ und „Nützlichkeit“.

Laut Recherchen von Medien wie Wired und CNN werden damit Abschiebungen algorithmisch optimiert:

„Rationalisierung von Deportationen“ nennen sie das.

Klingt effizient, klingt bürokratisch.

Ist in Wahrheit der technokratische Albtraum.

Der Traum einer AfD.

 Social Scoring – made in Silicon Valley

Der nächste Schritt: Social Media wird integriert.

Ein kritischer Facebook-Post.

Ein gelikter Beitrag eines missliebigen Professors –

und schon steht man ganz oben auf der Liste.

Willkommen im digitalen Faschismus.

Und dieselben Mechanismen werden natürlich auch für die Systeme angewendet, die uns an der Grenze untersuchen, wenn wir in die USA rein wollen. Viel Spaß mit der Selbstzensur und viel Erfolg allen, die da jetzt noch hin müssen.

Die deutsche Realität: näher, als wir denken

Wer jetzt glaubt, das sei ein rein amerikanisches Problem, unterschätzt die Geschwindigkeit, mit der autoritäre Technologien und Ideologien exportiert werden.

Palantir wird längst in Deutschland eingesetzt – von Polizeibehörden in mehreren Bundesländern. Und die Ausweitung dieser Systeme ist geplant, unklar bleibt, was mit den Daten passiert, die dort einfließen.

In Zeiten wie diesen dürfen wir uns keine Illusion machen: Deutschland ist theoretisch nur eine Wahl davon entfernt, dass Rechtsextreme Akteure an die Schaltstellen der Macht zumindest in Bundesländern gelangen – und sich dort Zugriff auf genau diese Systeme verschaffen. Um ihre Macht zu festigen und Kritiker:innen zu bekämpfen.

Und übrigens auch auf die vielen Überwachungsgesetze, die die Große Koalition wieder einführen will. Von der Vorratsdatenspeicherung bis zu biometrischer Videoüberwachung.

Sind wir vorbereitet, wenn das passiert? Wenn Behördenleitungen ausgetauscht werden, Regeln ignoriert werden, Prozesse beschleunigt werden?

Wahrscheinlich nicht.

Aber wir müssen es zumindest als realistische Option mitdenken und Strategien entwickeln. Bevor es zu spät ist.

Datenschutz ist Brandschutz

Wir lassen uns seit Jahren einreden, Datenschutz sei lästig. Ein bürokratisches Relikt. Ein Hemmschuh für Innovation.

In Wahrheit ist er das Gegenteil:

Datenschutz ist Brandschutz für die Demokratie.

Datensparsamkeit ist unser Notausgang, wenn das System brennt.

Denn am Ende entscheidet eine zentrale Frage darüber, wie verwundbar wir sein werden:

Welche Daten liegen dann noch auf den Servern? Und wer hat Zugriff darauf?


Wie digital souverän sind wir?

Das führt mich zu einem anderen Punkt, der unter Digitale Souveränität diskutiert wird.

Bereits vor fast genau zwölf Jahren gab es ein kurzes Momentum, wo vielen bewusst wurde, dass wir offensichtlich ein Problem haben: Die Snowden - Enthüllungen starteten und dokumentierten, wie Big Tech mit US-Geheimdiensten kooperiert, um ein System der Totalüberwachung zu unterstützen. 

In Deutschland gab es vor allem zwei Wochen lang Empörung, als herauskam, dass auch das Merkel-Handy überwacht wurde. Obama versprach ihr kurz danach, zumindest das nicht mehr abzuhören, und Schluss war die Debatte um die Frage, wie wir eigene unabhängige digitale Infrastrukturen bekommen, ohne dass diese Schnittstellen zu NSA und Co eingebaut haben.

Business as usual lief weiter, nur erweitert um die Frage, auf welchem der drei großen US-Hyperscaler Amazon, Microsoft oder Google man seine zukünftige Cloud betreiben will.

Das ist immer noch die Kernfrage vieler Unternehmen und der Verwaltungen, auch in Zeiten des US-Cloud-Acts, der US-Unternehmen, auch ihre Töchter bei uns verpflichtet, mit US-Geheimdiensten zusammenzuarbeiten.

Plastisch gefragt: Was, wenn Ihr in den nächsten Panama Papers eine Nähe zur Trump-Familie findet: Ist Eure Redaktion darauf vorbereitet, falls Trump dann Sanktionen gegen Euch erlässt und Eure MIcrosoft-IT-Infrastruktur abgeschaltet wird?

Der Zerfall von X – und warum es trotzdem weiterläuft

Kommen wir zurück Elon Musk zu. Ich war lange ein großer Fan von Twitter, fast seit den Anfangstagen. In den besten Zeiten hatte ich über 400.000 Follower.

Heute: Ich poste dort nichts mehr.

Seit der Übernahme ist aus Twitter das geworden, was viele befürchtet hatten: Eine Plattform, bei der Inhalte, Reichweiten und Sichtbarkeit manipuliert werden – im Dienste der geschäftlichen und ideologischen Interessen eines Einzelnen.

Unzählige Analysen und Enthüllungsgeschichten zeigen: Musk hat seinen eigenen Account algorithmisch bevorzugt. Das ist Machtmissbrauch. Und es ist ein Angriff auf demokratische Diskurse.

Übrigens dokumentiert die Facebook Whistleblower Sarah Wynn-Williams in ihrem Buch Careless-People Diskussionen im Facebook-Board, dass man in Staaten wie Deutschland doch die AfD boosten könnte, um sich ein besseres Regulierungsklima zu schaffen.

Im Board damals dabei: Die beiden rechtsradikalen Tech-Oligarchen Peter Thiel und Marc Andreessen. Woher wissen wir, dass sie das nicht gemacht haben?

Zurück zu X, wo viele trotzdem bleiben – aus Angst, vermeintliche Relevanz zu verlieren.

Politiker:innen bleiben, weil Journalist:innen dort sind.

Journalist:innen bleiben, weil die Politiker:innen dort sind.

Ein toxischer Kreislauf der gegenseitigen Bestätigung.

Dabei gäbe es eine Exit-Strategie:

Einfach nicht mehr referenzieren.

Nicht mehr einbetten.

Politiker:innen posten in der Regel auch auf anderen Plattformen.

Wir könnten X allmählich die vermeintliche Bedeutung entziehen – wenn wir wollten.

Regulierung – Hoffnung und Realität

Große Hoffnungen ruhen seit Jahren auf den neuen EU-Regeln:

Dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA).

Endlich Regeln! Endlich ein Gegenmodell zur Selbstregulierung, die in Wahrheit oft Regulierungsferien war.

Aber: Das ist bisher kein Grund zum Feiern.

Beim DSA erleben wir bisher zaghafte Durchsetzungen vor allem gegenüber Porno-Plattformen und TikTok.

Bei den „großen“ DMA-Fällen gegen Apple und Meta musste die EU-Kommission handeln – weil sie es bereits ein Jahr zuvor angekündigt hatte. Ein Automatismus, kein Mut.

Vor allem aber zeigt sich ein demokratietheoretisches Problem in der Praxis:

Die EU-Kommission ist gleichzeitig Regulierungsbehörde und Handelsakteur.

Sie verhandelt über Zölle – und soll gleichzeitig die Demokratie schützen.

Was passiert, wenn es zum Zielkonflikt kommt, wonach es gerade aussieht?

Tauschen wir unsere demokratischen Prinzipien gegen weniger Autozölle?

Und die größte Herausforderung ist: Der Rechtsweg zur Durchsetzung der teilweise unklaren Regeln könnte einige Jahren dauern. Bis dahin kann die Welt noch mehr in Flammen stehen.

Beim Datenschutz ist die Lage nicht besser: Die DSGVO wäre stärker – wenn sie durchgesetzt würde.

Doch zuständig ist vor allem Irland – und Irland verdient gut daran, dass Big Tech dort sitzt.

Das Ergebnis: Verzögerungen, Untätigkeit, politische Rücksichtnahmen.

Und frustrierte Datenschutzbehörden in den Mitgliedsstaaten, die hilflos dabei zusehen müssen.

Und dann gibt es noch den AI Act. Kein perfektes Gesetz – aber besser als nichts.

Doch auch er wird aktuell geschwächt, bevor er überhaupt Wirkung entfalten kann – unter dem Deckmantel der „Entbürokratisierung“. Man nennt es Deregulierung.

 Das reicht aber nicht. Wir brauchen weitere Regeln. 

Warum schreiben wir nicht vor, dass es transparente und nachvollziehbare algorithmische Filtersysteme geben muss? 

Warum wird weiterhin toleriert, dass Plattformen Links aus ihrem Ökosystemen heraus blockieren oder einfach nur algorithmisch bestrafen?

Warum gibt es noch keine besseren Gesetze zum Schutz vor Deepfakes? Diese werden immer mehr auch gegen Journalist:innen eingesetzt und gefährden damit auch die Pressefreiheit, weil sie Vertrauen rauben. 

Die Plattformen, auf denen das verteilt wird, zucken hier oftmals nur mit den Schultern. Hier braucht es aber auch einen besseren rechtlichen Schutz von freien Mitarbeitenden durch Medienorganisationen. Damit niemand alleine gelassen wird.

Und natürlich sollte man sie zerschlagen, die Googles, Amazons, Microsoft und Metas. Weil sie zu groß und zu mächtig geworden sind. Weil sie jeweils über mehrere Märkte monopolartige Strukturen geschaffen haben. Weil sie Wettbewerb behindern. Weil sie Demokratie gefährden.

 Lobbyschlacht und falsche Kompromisse

DSA, DMA, AI Act – sie sind nicht vom Himmel gefallen.

Sie sind das Ergebnis der größten Lobbyschlacht in der Geschichte der EU-Gesetzgebung.

Und wir scheuen uns, den Kern des Problems anzugehen:

Das Geschäftsmodell der personalisierten Werbung.

Diese Überwachungskapitalismus-Logik, die jede Aufmerksamkeit monetarisiert, jedes Verhalten trackt, jede Empörung belohnt – sie ist die Wurzel von Hass, Desinformation, Polarisierung.

Warum sehen wir es als Gott gegeben an, dass wir im Netz durch ein intransparentes Werbesystem, über das alle die Kontrolle verloren haben, komplett durchleuchtet werden?

Bis zu mehrere hundert Firmen werden informiert, wenn ich auf einer Medien-Webseite den falschen Cookie akzeptiere.

Und ja – es reicht aus, ein paar Euro, etwas Know-how und ein bisschen Motivation zu haben, um Menschen zu verfolgen. Ihre Wege. Ihre Kontakte. Ihre Treffen.

Diese Daten existieren. Die Databroker-Recherchen von netzpolitik.org und dem BR haben das anschaulich dokumentiert.

Die Plattformen haben sie natürlich auch.

Und sie nutzen sie. Meta und TikTok haben sie nachweislich eingesetzt – gegen Journalist:innen und Whistleblower.

Das System ist kaputt.

Wir wissen es.

Und wir machen trotzdem weiter.

Eine Allianz aus Big Tech und Verlagen verteidigt vehement das System, übrigens im Namen der Pressefreiheit.

Alternativen denken – digitale Räume demokratisieren

Die zentrale Frage lautet:

Können wir uns überhaupt noch vorstellen, dass demokratische Öffentlichkeiten auch online existieren – jenseits von Big Tech?

Oder haben wir längst akzeptiert, dass Mark Zuckerberg die digitalen Straßen besitzt – und morgen entscheiden kann, dass auf dem linken Bürgersteig nur noch rückwärts gelaufen werden darf?

Wir brauchen Alternativen. Und wir brauchen sie rasch.

Was wir brauchen: Digitale Öffentlichkeiten – jenseits der Plattformlogik

Wir müssen digitale Infrastrukturen neu denken. Räume für Debatten, Austausch und Information, die nicht darauf optimiert sind, unsere Aufmerksamkeit durch endlose Dopamin-Kaskaden zu fesseln.

Öffentlichkeiten, die nicht privatisiert sind.

Sondern gemeinwohlorientiert.

Gestützt auf offene Standards, demokratisch kontrolliert, staatsfern finanziert und betrieben.

Diese Infrastrukturen fallen nicht vom Himmel. Sie brauchen Investitionen.

Sie brauchen politische Unterstützung.

Und sie brauchen eine Vision.

Ein Hoffnungsschimmer: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk

In einer idealen Welt wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk genau der Ort, an dem solche digitalen Infrastrukturen entwickelt werden.

Würde man ihn heute neu denken – man würde Technologieneutralität ins Zentrum stellen.

Und ja, es gibt erste Ansätze:

  • Der Public Spaces Incubator bringt Medienhäuser und Entwickler:innen zusammen.
  • Die Mediatheken bauen endlich ein gemeinsames Open-Source-Ökosystem.
  • Erste Nutzendenkonten auf vertrauenswürdiger Infrastruktur, den Mediatheken, entstehen.

Langsam, vielleicht zu langsam – aber immerhin: Es bewegt sich etwas.

 

Ich glaube ja, eine europäische Plattform macht Sinn – aber anders gedacht.

Wenn medienpolitisch von einer „europäischen Plattform“ die Rede ist, meinen viele: ein europäisches Facebook oder Twitter.

Ein Monolith, auf dem Weg dahin garantiert endlos zerredet durch Gremien, 

Aber das ist nicht die Lösung.

Was wir brauchen, ist kein Kathedralenbau, sondern ein digitaler Bazar:

Ein vernetztes, dezentrales System auf offenen Protokollen wie ActivityPub oder ATPRoto, das Protokoll hinter Bluesky. 

Dazu Kommentar- und Diskursfunktionen in Mediatheken. Warum müssen wir das derzeit auf Youtube oder Facebook tun?

Dazu Verbindungen ins Fediverse – mit Mastodon, PeerTube & Co., offenen Protokollen sei Dank.

Die Mediatheken könnten die Grundlage sein – mit Millionen Nutzer:innenkonten, die auf Datenschutz verpflichtet sind. 

Und es gibt Lichtblicke:

Die SWR X Labs, das Media Lab Bayern und Mastodon zeigen gerade, was möglich ist.

Sechs Fellowships à 10.000 Euro für Medien-Innovationen im Fediverse. Das ist nicht viel.

Aber es ist ein Anfang.

 Wer soll das alles moderieren?

Klar – irgendwann kommt die Frage:

„Und wer moderiert dann die Debatten?“

Aber das ist lösbar. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk beschäftigt längst viele Social-Media-Manager:innen, die Facebook-, Instagram- und X-Accounts betreiben.

Es ist eine Frage der Prioritäten.

Wollen wir weiterhin Energie und knappe Ressourcen in Plattformen stecken, die unsere Werte mit Füßen treten und unsere Demokratie gefährden–

oder investieren wir in eigene Infrastrukturen, die demokratische Standards garantieren?

Pflicht zur Präsenz im offenen Netz

Es ist eigentlich ganz einfach: Öffentlich finanzierte Inhalte sollten selbstverständlich auch auf gemeinwohlorientierten Plattformen zu finden sein.

Das  Öffentlich-Rechtliche System sollte verpflichtet sein, neben seinen kommerziellen Accounts mindestens einen offiziellen Account auf einer offenen, dezentralen Plattform zu betreiben.

Damit Menschen sich informieren und interagieren können, ohne von Plattformen überwacht zu werden, die sie eigentlich meiden wollen.

Und damit sich Alternativen überhaupt entwickeln können – denn:

Plattformen wachsen durch Inhalte. Und Inhalte durch Sichtbarkeit.

 

Technologieneutralität: Mehr als ein Lippenbekenntnis

Der Anteil der Initiativen für technologische Unabhängigkeit am Gesamtbudget des Öffentlich-Rechtlichen System?

Verschwindend gering.

Wir brauchen t jetzt eine politische Debatte darüber, wie viel technologischer Gemeinsinn uns unsere Demokratie wert ist.

Ich plädiere dafür, 10 % des Budgets für technologische Souveränität zu nutzen.

Für das Entwickeln und Betreiben von Infrastruktur-Projekte, die unabhängig, offen, staatsfern und nutzerorientiert sind.

Für Infrastrukturen, die wir als Gesellschaft selbst betreiben – nicht von Gnaden globaler Konzerne.

 

Doch was, wenn alles blockiert wird?

Das Zeitfenster schließt sich möglicherweise bald.

Was, wenn die AfD in einzelnen Bundesländern an die Macht kommt?

Wenn einzelne Landesregierungen durch die Konstruktion des Föderalismus die nötigen Reformen verhindern, weil unsere Medien-Staatsverträge auf Einigkeit basieren?

Dann ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk angreifbar – vielleicht sogar gelähmt.

Wir dürfen nicht alles auf eine Karte setzen.

Der Staat muss ebenfalls Verantwortung übernehmen.

Nicht, indem das Innen- oder Digitalministerium ein neues Facebook startet – Die Geschichte deutscher Digitalgipfel ist eine lange Geschichte gescheiterter staatlicher IT-Großprojekte.

Notwendig ist eine gezielte Innovationsförderung für digitale Gemeingüter.

 500 Milliarden – und kein Cent für digitale Gemeingüter?

Aktuell stellt der Staat 500 Milliarden Euro für Infrastruktur bereit.

Warum nicht ein kleiner Bruchteil für digitale Infrastrukturen?

Warum nicht ein großgedachtes Projekt nach dem Vorbild der SWR-Labs?

Dazu bräuchte es auch Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht:

Damit Organisationen, die digitale Räume demokratisch gestalten, überhaupt gefördert werden können.

Und bessere Rahmenbedingungen fürs digitale Ehrenamt – das Rückgrat vieler alternativer Plattformen.

Tun wir nichts, dann bleibt alles wie es ist.

Oder wird schlimmer.

Gemeinnützigkeit und autoritäres Framing

Die Angriffe auf journalistische und zivilgesellschaftliche Organisationen haben zugenommen.

Sie kommen meist von rechts – und sie folgen einem klaren Drehbuch, das wir als autoritäres Playbook aus anderen Staaten kennen, die schon gekippt sind:

Zweifle die Gemeinnützigkeit an.

Isoliere die Organisation.

Entziehe ihr Ressourcen.

Binde sie in Gerichtsverfahren durch SLAPP-Klagen.

Streue Misstrauen.

Die Debatte um Correctiv ist nur eines von vielen Beispielen. 

Die 551 Fragen zur Gemeinnützigkeit, die CDU/CSU kurz vor der Regierungsübernahme in den Raum stellte, waren ein deutliches Warnsignal. Und sollten für uns auch ein Weckruf gewesen sein.

Denn es bleibt nie folgenlos:

Selbst wenn sich Vorwürfe als haltlos herausstellen – etwas bleibt immer hängen.

Flood the zone with shit.

Wir haben eine Wahl


Es ist noch nicht zu spät. Aber es ist Zeit, uns auf Worst-Case-Szenarien vorzubereiten. Es kann alles noch viel schlimmer kommen als gedacht. Die USA zeigen das gerade anschaulich.

Wir brauchen eine stärkere Zusammenarbeit aller, die Demokratie und Rechtsstaat verteidigen wollen. Dazu zählen auch stärkere Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Medienorganisationen, nicht nur bei der Recherche.

Journalismus muss endlich gemeinnützig werden. Damit das Damoklesschwert wegfällt, dass Finanzämter journalistischen Medien die Finanzierungsgrundlage entziehen können. Und mehr Geld über Stiftungen in das System fließen kann.

Es braucht Druck auf die Politik, die Durchsetzung unserer Regeln zur demokratischen Gestaltung der Öffentlichkeit gegenüber den mächtigsten Unternehmen der Welt konsequenter durchzusetzen. Und da nachzujustieren, wo notwendig.

Wir brauchen alternative digitale Infrastrukturen, um morgen die Wahlfreiheit zu haben, uns entscheiden zu können, wo und unter welchen Bedingungen wir kommunizieren und uns informieren wollen.

Dafür setzen wir uns bei dem von mir neu gegründeten Zentrum für Digitalrechte und Demokratie ein. Wir wollen die Erzählmacht über die Digitalisierung von Big Tech zurückholen und neue Allianzen bauen. Mehr Infos findet Ihr unter digitalrechte.de. Wir haben auch Stellen ausgeschrieben. 


Wir stehen am Scheideweg:

Lassen wir zu, dass autoritäre Akteure unsere digitalen Räume, unsere Diskurse, unsere Infrastrukturen noch mehr übernehmen?

Oder schaffen wir es, ein analoges und digitales Gemeinwesen zu verteidigen – das offen, demokratisch und zukunftsfähig ist?

Das wird nicht ohne Konflikte gehen. Nicht ohne neue Regeln. Und nicht ohne neue Allianzen.

Aber: Es ist möglich.

Pressefreiheit, digitale Souveränität und gemeinwohlorientierte Technologie – das sind keine netten Extras.

Sie sind die Überlebensbedingung unserer Demokratie.

Ich glaube immer noch daran, dass eine bessere digitale Welt möglich ist. Wir müssen dafür kämpfen.

Vielen Dank und viel Spaß.

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