Zehn Jahre #landesverrat

Heute vor zehn Jahren stand ich für zehn Tage im Zentrum einer Staatsaffäre. Der Vorwurf: #landesverrat.
Der heutige Rechtsaußen-Verschwörungsideologe Maaßen war damals noch Präsident des Verfassungsschutzes und störte sich an unseren Recherchen auf netzpolitik.org zu seiner Arbeit.
Ausgelöst hatte das die Berichterstattung von Andre Meister zum geheimen Ausbau der Internetüberwachung. Zwei Jahre nach Snowden sah die Bundesregierung diese Enthüllungen leider als Machbarkeitsstudie. Ich hing als verantwortlicher Chefredakteur mit drin, dazu wurde noch gegen unsere Quellen ermittelt (die nie gefunden wurden).
Was folgten waren die ereignisreichsten zehn Tage meines Lebens.
Die Kamerateams der Tagesschau und Co waren teilweise Vormittags und nochmal Nachmittags bei uns im Büro, weil es ständig neue Entwicklungen gab. 2500 Menschen demonstrierten für die Pressefreiheit in Berlin.
IBAN als Trending Topic
Unsere Spenden-IBAN war Trending Topic auf Twitter, weil unsere Webseite und damit auch unsere Spendeninformationen den Anfragen aus aller Welt damals nicht Stand halten konnte. Wir bekamen in den zehn Tagen soviel Geld an Spenden, dass wir unsere Redaktion im Anschluss ausbauen konnten. Uns wurden in dem Jahr zahlreiche Auszeichungen für unseren Einsatz für Pressefreiheit verliehen.
Und ich musste meine Mutter beruhigen, dass sie sich keine Sorgen machen muss, mich im Gefängnis besuchen zu müssen. Sie hatte im Videotext gelesen, dass darauf ein Jahr bis lebenslänglich stehen. Wir hatten doch nur unsere Arbeit gemacht.
Am Ende der zehn Tage wurde der Generalbundesanwalt als Bauernopfer entlassen und die Ermittlungen eingestellt. Wir hatten damit zwar Sommerferien bekommen, aber damit auch keine Chance, vor Gericht unsere Unschuld zu beweisen.
Denn die Ermittlungen waren konstruiert und ein gezielter Angriff von Rechtsaußen-Akteuren in verantwortlicher Position auf die Pressefreiheit.
Niemand wollte dafür die Verantwortung übernehmen
Ich habe viel gelernt über mediale und politische Mechanismen und wie sich politisch Verantwortliche aus der Schlinge ziehen können.
In der parlamentarischen Aufarbeitung kamen zahlreiche Ungereimtheiten zu Tage. Das interessierte aber dann niemand mehr, denn es wurde der Herbst 2015 und die Zeit von „Wir schaffen das“. Wir werden leider erst in frühestens 20 Jahren Zugriff auf Akten bekommen.
Ich habe trotzdem den Glauben an den Rechtsstaat nicht verloren, sondern eher noch eine „Jetzt erst recht“-Haltung entwickelt.
Zehn Jahre später hat sich mein Leben verändert. Ich bin nach 20 Jahren nicht mehr bei netzpolitik.org. Für mich persönlich haben sich auch die Schwerpunktthemen verändert.
War es für viele Jahre das Engagement gegen zunehmende Überwachung sehe ich mittlerweile die viel größere Gefahr darin, demnächst keine funktionierenden demokratischen Öffentlichkeiten mehr zu haben. Dafür müssen wir die Macht von Big-Tech und den Tech-Oligarchen effektiv begrenzen und regulieren sowie demokratische Alternativen fördern, damit wir morgen Wahlfreiheit bekommen.
Insofern hat sich auch mein Betätigungsfeld verändert. Jetzt baue ich dafür das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie, um Öffentlichkeit dafür zu schaffen und den notwendigen Druck auf die Politik auszuüben.
Denn die kommenden Jahre und unsere gesellschaftlichen Weichenstellungen entscheiden darüber, ob wir weiter in Demokratie und Rechtsstaat leben und wie die Zukunft aussieht.
Aber dem Thema Journalismus und Pressefreiheit bleibe ich auf vielfältigen weiteren Wegen erhalten. Als Kurator der re:publica stelle ich einmal im Jahr die Frage „In welcher digitalen Gesellschaft wollen wir leben?“. Als Co-Kurator des b-future Festivals unterstütze ich das Bonn Institute dabei, einen zentralen Ort für den Journalismus und konstruktiven Dialog in Bonn aufzubauen. Als Kolumnist für diverse Medien wie Correctiv und in meinem Newsletter auf digitalpolitik.de schreibe ich weiterhin über diese Themen. Und vertrete diese Positionen auch auf Podien und bei Keynotes.
Einen längeren Rückblick auf die Zeit hat der SWR-Podcast "Dark Matters - Geheimnisse der Geheimdienste" vor zwei Jahren veröffentlicht: Die Blogger und die Landesverrats-Affäre (MP3).